Kampaigning und Aktivismus aus Mariupol auf der documenta fifteen

(sel) am 29.07.2022. Bei der Kasseler Weltkunstausstellung 2022 stehen ja immer wieder vollkommen andere Themen und vor allem grundsätzlich andere Kulturräume im Fokus als das europäische Thema der Zeit, der Ukrainekrieg. Dabei läuft dort gerade im so genannten ruruHaus eine sehr interessante aktivistische und kampagnenartige Veranstaltungsreihe, Citizenship Ukraine. Ich habe zum Beispiel am Workshop der Mariupoler „Platform Tu“ teilgenommen – und war sehr bewegt. Die Gruppe (überwiegend Künstler) hat über ihre Aktivitäten berichtet, Lebewesen, Menschen und Tiere aus der vollkommen zerstörten Stadt herauszubringen. Wer diese Passage wagt, muss sich nicht nur in eine von Feinden besetzte humanitär prekäre Zone der Dystopie wagen, sondern auch ca. 30 Checkpoints der russischen Armee überwinden. An diesen Kontrollpunkten kann alles Mögliche passieren: von der Demütigung über Gewalt und Verletzung oder Plünderung bis hin zum Tod, vollkommen willkürlich. Die Aktivisten haben das Publikum dann aufgefordert, mittels bereit gestellten Materials (Presseausschnitte und Fotomaterial) analog zu den möglichen Szenarien an den 30 Checkpoints entsprechend 30 Collagen im DIN A 4-Format anzufertigen, einen eigenen Ausdruck für die Situation in und um Mariupol zu finden und entsprechende Gefühle und eine Haltung über die eigene Bildcollage zu finden. Ich fand dieses Beispiel von politisch motiviertem und über Kunst gespielten kampagnenartigen Aktivismus auf der ansonsten ja von allen Seiten sehr im Kritikfeuer stehenden documenta sehr gelungen. Zumindest haben die Leute aus Mariupol in Kassel gezeigt: Die in Deutschland und der EU so sehr verbreitete Gleichgültigkeit gegenüber den Geschehnissen in der Ukraine: ist keine Option. Platform Tu selbst bleiben nur drei Tage in Kassel. Danach geht es wieder in den Krieg.

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